schreibstube

Das Poly-Blog von Helly & Jay

[Dienstag, 22. April 2008]

Eine Freundin, die sich weitgehend von ihrem Freund trennte zugunsten eines anderen, sich in dieser Sache aber nicht völlig sicher ist, äußerte ihre Melancholie ob ihrer Angst, daß sie und ihr Ex-Freund sich entfremden. Ich sagte ihr, ähnliche Angst ergreife mich oft auch: Aber Entfremdung ist weniger eine Funktion des Getrenntseins oder des Nichtwissens darüber, was der Partner tut, sondern eine Funktion des Auseinanderfallens im Zusammensein. Schadet es der Beziehung, daß wir 20, 30, 40 Jahre lebten, ohne den anderen zu kennen? Nein. Alles hängt davon ab, ob beide sich in inkompatible Richtungen entwickeln, und die Wahrscheinlichkeit dafür nimmt mit zunehmendem Alter eher ab. Mögliche zukünftige Inkompatibilitäten sind nicht so sehr an Zeit gebunden, denke ich, oder an Erfahrungen, sondern an Situationen. Oder besser: Konventionen, denn, ganz ehrlich, es ist selten die Situation allein, die uns daran hindert, das zu tun was wir tun wollen.

Polys müssen das verinnerlichen: Polyamore Partner machen nicht alles gemeinsam, insbesondere auch solche Dinge, die wir für eine Beziehung zu recht als wichtig empfinden. Darüber hinaus können wir auch nicht verlangen, immer über alles Bescheid zu wissen, was der Partner macht und fühlt. Ehrlich sein und gläsern sein sind verschiedene Zustände. Was wir über „Entfremdung“ und „Entwicklung“ annehmen, bedarf daher der konzeptuellen und emotionalen Revision.