Auch wenn sich Polyamorie privat und ohne Straßenschlachten abspielt,
ist das politische Potential größer, als es scheint.
Als fundamentale soziale Einheit interagiert die Familie mit allen sozialen
und kulturellen Aspekten der Gesellschaft: Änderungen in der Struktur der
Familie ziehen Veränderungen nach sich quer durch die Sozialstruktur.
Polyamorie verändert radikal die familiäre Dynamik
von Ausschließlichkeit, Kontrolle, Eigentum und Besitzanspruch zugunsten
von Integration, Vertrauen, Selbständigkeit und der Fähigkeit zu teilen.
Komplexe soziale Gebilde wie Staaten und Religionen neigen dazu, vorherrschende
Dynamiken zu replizieren und ihre Existenz darauf zu gründen. Da Kinder vorgelebte
Werte weitertragen und Menschen von Beispielen lernen, nimmt die zum Teil
aggressive Negierung des polyamoren Lebensentwurfs
als Symptom und Ursache „postmodernen Kulturverfalls“ zugleich
nicht Wunder: Fallen Dynamiken von Kontrolle und Anspruch auf Ausschließlichkeit
im familiären Umfeld, kann das früher oder später zu einer Bedrohung für
gesellschaftliche Institutionen werden, die ihren Einfluß auf exakt diese
Dynamiken gründen.